F r e d a W o l f f
im Gespräch
Foto: Uhlenhut
Sie schreiben Ihre Romane gemeinsam - was bedeutet das konkret?
Natürlich sitzen wir uns nicht gegenüber und schreiben abwechselnd jeder einen Satz, das würde niemals funktionieren. Wir haben es einmal versucht - und es war eine einzige Katastrophe, bei der wir viele frustrierende Stunden damit verbracht haben, ein nicht nur kurzes, sondern auch stilistisch und inhaltlich erbärmliches Kapitel zu produzieren, das wir schließlich ohne weitere Diskussion in den Papierkorb geworfen haben.
Unser „Zusammen-Schreiben“ bedeutet vielmehr, dass wir unsere beiden Persönlichkeiten mit ihren unterschiedlichen Kompetenzen ebenso wie mit ihren Macken zu einer Stimme werden lassen - eben der von Freda Wolff!
Der Anfang ist dabei fast immer geprägt von langen Diskussionen am Küchentisch und eher konträren Annäherungen - während Wolfram viel Zeit grübelnd auf dem Sofa oder bei langen Spaziergängen mit dem Hund verbringt, durchforstet Ulrike das Internet, unsere Bücherwand oder die verschiedensten Zeitungen nach notwendigen Informationen.
Dieser Prozess kann mehrere Wochen dauern, bis wir endlich in der Lage sind, ein Handlungsgerüst zu entwerfen, das Setting und die Charaktere festzulegen. Wichtig dabei ist, dass wir beide die gleiche Struktur, die Atmosphäre, die Farben für unsere Geschichte im Kopf haben, bevor wir wirklich zu schreiben beginnen. Dann erst entwirft derjenige von uns, der einen leichteren Einstieg in die Geschichte findet, ein erstes Kapitel, das der andere umgehend lektoriert, mit Kommentaren versieht, Veränderungsvorschläge macht, ergänzt, ausfeilt.
Zu diesem Zeitpunkt arbeiten wir auch noch räumlich getrennt voneinander, Wolfram schreibt fast alles von Hand in der Küche und hört dabei laute Musik (meistens irgendwas von den Kinks, manchmal auch Colosseum oder Rod Stewart, "Unplugged and Seated", in endloser Wiederholung!). Ulrike arbeitet grundsätzlich am PC, oben im Arbeitszimmer unterm Dach, wo sie weit weg ist von Telefon und Türklingel (auch von Rod Stewart!).
Die Küche ist dann immer wieder der Ort, an dem wir die verschiedenen Ansätze zu einem neuen Ganzen zusammenfügen und von Tag zu Tag entscheiden, wie es weitergehen soll.
Muss das nicht zwangsläufig zu Streit führen, wenn zwei Personen an einer Geschichte arbeiten und sich gegenseitig in den Text hineinreden, sich korrigieren, Worte und Sätze des anderen verändern?
Das hat etwas mit Vertrauen zu tun - wir verändern ja nicht, um dem anderen zu beweisen, sieh mal, das kann ich aber besser, oder, noch schlimmer: Jede Silbe, die ich geschrieben habe, ist Weltliteratur, da darfst du nichts streichen oder durch etwas Anderes ersetzen! Nein, wir kommen ja beide vom Theater, und eine Sache haben wir dort unbedingt gelernt: Es kann immer nur um das Endprodukt gehen! Persönliche Eitelkeiten und Konkurrenzen sind kontraproduktiv, wir müssen vielmehr versuchen, uns gegenseitig zu motivieren, zu bestärken, unsere unterschiedlichen Kompetenzen vor irgendwelche Selbstverwirklichungs-Attitüden zu stellen, nur so wird es ein Text werden, in dem wir uns beide ohne Einschränkungen wiederfinden und zu dem wir auch wirklich stehen können.
Außerdem hat unsere Zusammenarbeit ja den großen Vorteil, dass wir auf diese Weise auch die Einsamkeit des Schriftstellers aufbrechen können, wir sind eben nicht alleine und brüten verzweifelt über dem nächsten Satz, sondern wir sind uns zu jedem Zeitpunkt bewusst, dass da noch jemand ist, mit dem du dich austauschen kannst, der das gleiche Ziel hat wie du: die bestmögliche Geschichte zu erzählen!
Das klingt jetzt alles viel strukturierter und vernünftiger, als es sich in Wirklichkeit darstellt, oftmals ist der Schreibprozess viel chaotischer, auch wenn wir mittlerweile beide in der Lage sind, unser tägliches Schreibpensum wirklich diszipliniert abzuarbeiten. Aber natürlich streiten wir uns auch, vor allem wenn einer von uns mit einer Idee kommt, die er selber für die Lösung schlechthin hält, und der andere dann aber Bedenken anmeldet und nicht augenblicklich Feuer und Flamme ist oder ganz und gar behauptet: Nein, das ist es nicht, da rennst du gerade in eine Sackgasse! Genau in diesem Moment rettet uns nur unser gegenseitiges Vertrauen - er oder sie sagt das ja nicht, um dir eins auszuwischen, sondern wir müssen also noch mal neu überlegen und unsere Argumente abwägen, manchmal auch eine solche „Spitzenidee“ einfach wieder verwerfen. Und die Erfahrung hat gezeigt, dass uns das tatsächlich zu Ergebnissen führt, die wir jeder für uns alleine niemals hinbekommen würden.
Richtig Streit oder Unmut entsteht eher aus dem Alltag, den wir ja auch noch irgendwie in den Griff bekommen müssen: Hat einer von uns daran gedacht einzukaufen, wer macht das Badezimmer, wer kümmert sich um die vierteljährliche Steuerabrechnung, wer geht mit dem Hund, wer holt das Auto aus der Werkstatt, müssen wir jetzt wirklich auch noch Freunde zum Essen einladen und für sie kochen, anstatt einfach weiterzuschreiben oder uns eine DVD anzusehen? Im besten Fall lässt sich das dann aber auch gleich wieder nutzbar für unsere Geschichte machen, denn Merette oder Jan-Ole geht es ja ganz genauso, und das sind unter anderem natürlich auch die Probleme, die unsere Leser mit uns teilen.
Schreiborte sind also die Küche, das Arbeitszimmer unter dem Dach ...
Schreibort ist das gesamte Haus! Das muss man sich ein bisschen vorstellen wie auf dem Foto von Brechts Arbeitszimmer im Exil in Helsinki, mit den verschiedenen Tischen für die verschiedenen Projekte. Auch bei uns gibt es kaum einen Tisch, auf dem nicht irgendwelche Manuskriptstapel liegen - wir arbeiten ja neben den Freda-Wolff-Romanen auch noch an anderen Buchprojekten, die ihren eigenen Platz brauchen, damit Merette und Jan-Ole sich nicht plötzlich in einem ganz anderen Buch oder Theaterstück wiederfinden!
Aber in der Endphase eines gemeinsamen Projektes ziehen wir mit unserem Manuskript dann tatsächlich ins Wohnzimmer um und schaffen uns dort so eine Art Insel, auf der nichts weiter existiert außer unseren Büchern, dem großen Tisch mit der unvermeidlichen Espressokanne und den manchmal Hunderten von Notizzetteln mit flüchtig hingeschriebenen Fragen - und eben unserem Text, der auf die letzte Bearbeitung wartet.
Wir brauchen diese räumliche Nähe, um uns ganz auf uns konzentrieren zu können. Und dann sind wir tatsächlich in Bergen oder an der norwegischen Schärenküste, dann sind wir auch Merette und Jan-Ole!
Jetzt geht es darum, unseren Text nicht nur noch einmal auf logische Verknüpfungen und die Dramaturgie hin zu überprüfen, sondern vor allem den Dialogen den letzten Schliff zu geben. Und da wird dann auch wieder deutlich, dass wir beide vom Theater kommen! Da kann einer von uns unvermittelt aufspringen und eine Textpassage laut vortragen, während der andere spontan reagiert und einsteigt - oder eben nicht, was bedeuten würde, hier hakt noch was, hier stimmt der Klang nicht, hier ist es noch hölzern oder aufgesetzt. Als Theaterleute beschreiben wir ja viele Szenen und Handlungen fast ausschließlich über den Dialog, das heißt unser Text muss immer auch als gesprochene Sprache funktionieren, der Rhythmus muss stimmen, das Erzähltempo, nur dann wird es uns gelingen, den Leser zu packen und mitzunehmen, ihn in diesen Sog zu ziehen, der ihn alles andere um sich herum vergessen lässt ...
Gibt es vielleicht noch einen besonderen Trick beim Schreiben, den Sie verraten würden?
Beim Kriminalroman ebenso wie beim Thriller geht es ja vor allem darum, logische Zusammenhänge aufzubauen, Verknüpfungen von Motiven und Handlungen zu finden, die sich in der Detektion durch den Ermittler zweifelsfrei erschließen müssen bzw. für den Leser nachvollziehbar sind.
Als wir mit der Arbeit an „Schwesterlein muss sterben“ begonnen haben, gab es immer wieder Momente, in denen sich fiktive Situationen anboten (um beispielsweise die Spannung zu erhöhen), die zwar für den Moment schlüssig erschienen, uns aber viel Kopfzerbrechen bereiteten, wie wir sie im Zusammenhang der Handlungen erklären sollten. Wir haben schnell gemerkt, wie sehr sich das lähmend auf das Weiterschreiben auswirkte, wenn wir an so einem Punkt festhingen und nach einer logischen Herleitung suchten - bis wir die Idee hatten, das Ganze andersrum anzugehen, also bestimmte Situationen zunächst einfach als gegeben hinzustellen und dann erst im Nachhinein zu erklären zu versuchen.
Das klingt jetzt vielleicht wenig einleuchtend, hat sich aber als durchaus praktikabel erwiesen - eine Figur tut etwas, von dem wir als Autoren nur wissen, dass es passt und die Geschichte vorantreibt, aber keine Ahnung haben, wie wir das im Moment begründen sollten. Das schafft uns erstmal den nötigen Freiraum, um weiterarbeiten zu können - und wir haben festgestellt, dass sich hinterher eigentlich ALLES erklären lässt und sich logische Verknüpfungen häufig fast von alleine ergeben.
Bleibt noch die Frage nach dem Pseudonym -
warum überhaupt ein Pseudonym, warum Freda Wolff?
Das hat vor allem etwas mit dem Buchmarkt in Deutschland zu tun - wir haben hier ein sehr starkes Schubladen-Denken, Autorennamen sind wie Markennamen für bestimmte Literaturprodukte. Es ging also darum, möglichst zu vermeiden, dass unsere echten Namen als Marke für andere Sachen, die wir geschrieben haben, genommen werden - zum Beispiel „Hänel gleich Kinderbücher“. Damit war die Entscheidung naheliegend, uns als Thriller-Autoren ein Pseudonym zu suchen.
Wir waren uns schnell einig, dass nur ein Autorenname auf dem Umschlag stehen sollte - der Leser soll sich ja von der Erzählkraft EINES Autors fesseln und in dessen Gedankenwelt entführen lassen, zwei Autoren erschienen uns dabei als zu distanziert. Wir erzählen unsere Geschichte als eine Person, also sollte auch nur eine Person damit assoziiert werden. Und: Wir hatten zwei starke Frauenfiguren in "Schwesterlein muss sterben", die Psychologin Merette und ihre erwachsene Tochter Julia, um deren Gefühle, Hoffnungen und Ängste das gesamte Geschehen konstruiert ist, also schien es sinnvoll, auch als (angeblichen) Erzähler eine Frau einzusetzen.
Als erste Idee hatten wir „Pia Berlin“ (wir haben beide in Berlin studiert, und „Pia“ fanden wir jung und frisch), aber das stieß bei unserem Lektor auf wenig Begeisterung. Und dann haben wir noch mal ganz neu überlegt, „Schwesterlein muss sterben“ ist ein Scandi-Thriller, somit sollte der Autorenname zumindest auch in diese Richtung weisen, also „nördlich“ klingen. „Wolff“ als Nachname schien überzeugend, und Ulrikes zweiter Vorname ist Elfriede, also vielleicht „Frieda“, aber das klang schon wieder so altbacken und großmütterlich, „Freda“ dagegen hatte diesen nördlichen Touch von Annafred und auch gleich noch ein bisschen was von Fred Vargas - und sah hingeschrieben gut aus, war einfach zu sprechen und sollte auch als „internationales Pseudonym“ für Engländer oder Amerikaner kein Problem sein. Dann würde zwar wieder „Frieda“ daraus, aber wenigstens hatte Wolfram tatsächlich eine Großtante namens Frieda in Dresden, die war zwar keine Psychologin, sondern Hutmacherin, aber nach vier gescheiterten Ehen legte sie sich schließlich kurzerhand eine Freundin zu, mit der sie fortan zu Weihnachten die versammelte Verwandtschaft schockte - und das wiederum passt doch auch irgendwie zu Merette!
Und als allerletzte Frage: Warum schreibt ein deutsches Autorenpaar einen Roman, der in Norwegen spielt?
Das ist ja eben das Großartige an unserem Beruf, dass wir uns in unserer Phantasie an jeden Ort dieser Welt begeben können! Wir können sein, was wir wollen, wer wir wollen, wo wir wollen - auch eine Psychologin oder ein Ex-Polizist in Bergen!
In unserem vorangegangenem Kriminalroman „Kein Erbarmen“ lassen wir die Handlung bereits sowohl in Hannover als auch in Nord-Jütland in Dänemark spielen, aber das Problem bei egal welchem Ort oder welcher Landschaft in Deutschland ist, dass einem dann sofort der Stempel „Regional-Krimi“ aufgedrückt wird, und dazu hatten wir einfach keine Lust mehr. Natürlich schreiben auch Mankell oder Adler-Olson „Regional-Krimis“, aber bei Schweden oder Dänemark scheint das dann keinen mehr zu interessieren, da heißt die Schublade einfach nur „Scandi-Thriller“.
Und wir selbst lieben Kriminalromane aus Skandinavien, seit wir das erste Mal Sjöwahl/Wahlöö gelesen haben, ebenso wie die ganz besondere Atmosphäre der Hafenstadt Bergen und der vorgelagerten Schärenküste, seit wir das erste Mal da waren, vor inzwischen über 30 Jahren.
(Freda Wolff, 09/13)
Natürlich sitzen wir uns nicht gegenüber und schreiben abwechselnd jeder einen Satz, das würde niemals funktionieren. Wir haben es einmal versucht - und es war eine einzige Katastrophe, bei der wir viele frustrierende Stunden damit verbracht haben, ein nicht nur kurzes, sondern auch stilistisch und inhaltlich erbärmliches Kapitel zu produzieren, das wir schließlich ohne weitere Diskussion in den Papierkorb geworfen haben.
Unser „Zusammen-Schreiben“ bedeutet vielmehr, dass wir unsere beiden Persönlichkeiten mit ihren unterschiedlichen Kompetenzen ebenso wie mit ihren Macken zu einer Stimme werden lassen - eben der von Freda Wolff!
Der Anfang ist dabei fast immer geprägt von langen Diskussionen am Küchentisch und eher konträren Annäherungen - während Wolfram viel Zeit grübelnd auf dem Sofa oder bei langen Spaziergängen mit dem Hund verbringt, durchforstet Ulrike das Internet, unsere Bücherwand oder die verschiedensten Zeitungen nach notwendigen Informationen.
Dieser Prozess kann mehrere Wochen dauern, bis wir endlich in der Lage sind, ein Handlungsgerüst zu entwerfen, das Setting und die Charaktere festzulegen. Wichtig dabei ist, dass wir beide die gleiche Struktur, die Atmosphäre, die Farben für unsere Geschichte im Kopf haben, bevor wir wirklich zu schreiben beginnen. Dann erst entwirft derjenige von uns, der einen leichteren Einstieg in die Geschichte findet, ein erstes Kapitel, das der andere umgehend lektoriert, mit Kommentaren versieht, Veränderungsvorschläge macht, ergänzt, ausfeilt.
Zu diesem Zeitpunkt arbeiten wir auch noch räumlich getrennt voneinander, Wolfram schreibt fast alles von Hand in der Küche und hört dabei laute Musik (meistens irgendwas von den Kinks, manchmal auch Colosseum oder Rod Stewart, "Unplugged and Seated", in endloser Wiederholung!). Ulrike arbeitet grundsätzlich am PC, oben im Arbeitszimmer unterm Dach, wo sie weit weg ist von Telefon und Türklingel (auch von Rod Stewart!).
Die Küche ist dann immer wieder der Ort, an dem wir die verschiedenen Ansätze zu einem neuen Ganzen zusammenfügen und von Tag zu Tag entscheiden, wie es weitergehen soll.
Muss das nicht zwangsläufig zu Streit führen, wenn zwei Personen an einer Geschichte arbeiten und sich gegenseitig in den Text hineinreden, sich korrigieren, Worte und Sätze des anderen verändern?
Das hat etwas mit Vertrauen zu tun - wir verändern ja nicht, um dem anderen zu beweisen, sieh mal, das kann ich aber besser, oder, noch schlimmer: Jede Silbe, die ich geschrieben habe, ist Weltliteratur, da darfst du nichts streichen oder durch etwas Anderes ersetzen! Nein, wir kommen ja beide vom Theater, und eine Sache haben wir dort unbedingt gelernt: Es kann immer nur um das Endprodukt gehen! Persönliche Eitelkeiten und Konkurrenzen sind kontraproduktiv, wir müssen vielmehr versuchen, uns gegenseitig zu motivieren, zu bestärken, unsere unterschiedlichen Kompetenzen vor irgendwelche Selbstverwirklichungs-Attitüden zu stellen, nur so wird es ein Text werden, in dem wir uns beide ohne Einschränkungen wiederfinden und zu dem wir auch wirklich stehen können.
Außerdem hat unsere Zusammenarbeit ja den großen Vorteil, dass wir auf diese Weise auch die Einsamkeit des Schriftstellers aufbrechen können, wir sind eben nicht alleine und brüten verzweifelt über dem nächsten Satz, sondern wir sind uns zu jedem Zeitpunkt bewusst, dass da noch jemand ist, mit dem du dich austauschen kannst, der das gleiche Ziel hat wie du: die bestmögliche Geschichte zu erzählen!
Das klingt jetzt alles viel strukturierter und vernünftiger, als es sich in Wirklichkeit darstellt, oftmals ist der Schreibprozess viel chaotischer, auch wenn wir mittlerweile beide in der Lage sind, unser tägliches Schreibpensum wirklich diszipliniert abzuarbeiten. Aber natürlich streiten wir uns auch, vor allem wenn einer von uns mit einer Idee kommt, die er selber für die Lösung schlechthin hält, und der andere dann aber Bedenken anmeldet und nicht augenblicklich Feuer und Flamme ist oder ganz und gar behauptet: Nein, das ist es nicht, da rennst du gerade in eine Sackgasse! Genau in diesem Moment rettet uns nur unser gegenseitiges Vertrauen - er oder sie sagt das ja nicht, um dir eins auszuwischen, sondern wir müssen also noch mal neu überlegen und unsere Argumente abwägen, manchmal auch eine solche „Spitzenidee“ einfach wieder verwerfen. Und die Erfahrung hat gezeigt, dass uns das tatsächlich zu Ergebnissen führt, die wir jeder für uns alleine niemals hinbekommen würden.
Richtig Streit oder Unmut entsteht eher aus dem Alltag, den wir ja auch noch irgendwie in den Griff bekommen müssen: Hat einer von uns daran gedacht einzukaufen, wer macht das Badezimmer, wer kümmert sich um die vierteljährliche Steuerabrechnung, wer geht mit dem Hund, wer holt das Auto aus der Werkstatt, müssen wir jetzt wirklich auch noch Freunde zum Essen einladen und für sie kochen, anstatt einfach weiterzuschreiben oder uns eine DVD anzusehen? Im besten Fall lässt sich das dann aber auch gleich wieder nutzbar für unsere Geschichte machen, denn Merette oder Jan-Ole geht es ja ganz genauso, und das sind unter anderem natürlich auch die Probleme, die unsere Leser mit uns teilen.
Schreiborte sind also die Küche, das Arbeitszimmer unter dem Dach ...
Schreibort ist das gesamte Haus! Das muss man sich ein bisschen vorstellen wie auf dem Foto von Brechts Arbeitszimmer im Exil in Helsinki, mit den verschiedenen Tischen für die verschiedenen Projekte. Auch bei uns gibt es kaum einen Tisch, auf dem nicht irgendwelche Manuskriptstapel liegen - wir arbeiten ja neben den Freda-Wolff-Romanen auch noch an anderen Buchprojekten, die ihren eigenen Platz brauchen, damit Merette und Jan-Ole sich nicht plötzlich in einem ganz anderen Buch oder Theaterstück wiederfinden!
Aber in der Endphase eines gemeinsamen Projektes ziehen wir mit unserem Manuskript dann tatsächlich ins Wohnzimmer um und schaffen uns dort so eine Art Insel, auf der nichts weiter existiert außer unseren Büchern, dem großen Tisch mit der unvermeidlichen Espressokanne und den manchmal Hunderten von Notizzetteln mit flüchtig hingeschriebenen Fragen - und eben unserem Text, der auf die letzte Bearbeitung wartet.
Wir brauchen diese räumliche Nähe, um uns ganz auf uns konzentrieren zu können. Und dann sind wir tatsächlich in Bergen oder an der norwegischen Schärenküste, dann sind wir auch Merette und Jan-Ole!
Jetzt geht es darum, unseren Text nicht nur noch einmal auf logische Verknüpfungen und die Dramaturgie hin zu überprüfen, sondern vor allem den Dialogen den letzten Schliff zu geben. Und da wird dann auch wieder deutlich, dass wir beide vom Theater kommen! Da kann einer von uns unvermittelt aufspringen und eine Textpassage laut vortragen, während der andere spontan reagiert und einsteigt - oder eben nicht, was bedeuten würde, hier hakt noch was, hier stimmt der Klang nicht, hier ist es noch hölzern oder aufgesetzt. Als Theaterleute beschreiben wir ja viele Szenen und Handlungen fast ausschließlich über den Dialog, das heißt unser Text muss immer auch als gesprochene Sprache funktionieren, der Rhythmus muss stimmen, das Erzähltempo, nur dann wird es uns gelingen, den Leser zu packen und mitzunehmen, ihn in diesen Sog zu ziehen, der ihn alles andere um sich herum vergessen lässt ...
Gibt es vielleicht noch einen besonderen Trick beim Schreiben, den Sie verraten würden?
Beim Kriminalroman ebenso wie beim Thriller geht es ja vor allem darum, logische Zusammenhänge aufzubauen, Verknüpfungen von Motiven und Handlungen zu finden, die sich in der Detektion durch den Ermittler zweifelsfrei erschließen müssen bzw. für den Leser nachvollziehbar sind.
Als wir mit der Arbeit an „Schwesterlein muss sterben“ begonnen haben, gab es immer wieder Momente, in denen sich fiktive Situationen anboten (um beispielsweise die Spannung zu erhöhen), die zwar für den Moment schlüssig erschienen, uns aber viel Kopfzerbrechen bereiteten, wie wir sie im Zusammenhang der Handlungen erklären sollten. Wir haben schnell gemerkt, wie sehr sich das lähmend auf das Weiterschreiben auswirkte, wenn wir an so einem Punkt festhingen und nach einer logischen Herleitung suchten - bis wir die Idee hatten, das Ganze andersrum anzugehen, also bestimmte Situationen zunächst einfach als gegeben hinzustellen und dann erst im Nachhinein zu erklären zu versuchen.
Das klingt jetzt vielleicht wenig einleuchtend, hat sich aber als durchaus praktikabel erwiesen - eine Figur tut etwas, von dem wir als Autoren nur wissen, dass es passt und die Geschichte vorantreibt, aber keine Ahnung haben, wie wir das im Moment begründen sollten. Das schafft uns erstmal den nötigen Freiraum, um weiterarbeiten zu können - und wir haben festgestellt, dass sich hinterher eigentlich ALLES erklären lässt und sich logische Verknüpfungen häufig fast von alleine ergeben.
Bleibt noch die Frage nach dem Pseudonym -
warum überhaupt ein Pseudonym, warum Freda Wolff?
Das hat vor allem etwas mit dem Buchmarkt in Deutschland zu tun - wir haben hier ein sehr starkes Schubladen-Denken, Autorennamen sind wie Markennamen für bestimmte Literaturprodukte. Es ging also darum, möglichst zu vermeiden, dass unsere echten Namen als Marke für andere Sachen, die wir geschrieben haben, genommen werden - zum Beispiel „Hänel gleich Kinderbücher“. Damit war die Entscheidung naheliegend, uns als Thriller-Autoren ein Pseudonym zu suchen.
Wir waren uns schnell einig, dass nur ein Autorenname auf dem Umschlag stehen sollte - der Leser soll sich ja von der Erzählkraft EINES Autors fesseln und in dessen Gedankenwelt entführen lassen, zwei Autoren erschienen uns dabei als zu distanziert. Wir erzählen unsere Geschichte als eine Person, also sollte auch nur eine Person damit assoziiert werden. Und: Wir hatten zwei starke Frauenfiguren in "Schwesterlein muss sterben", die Psychologin Merette und ihre erwachsene Tochter Julia, um deren Gefühle, Hoffnungen und Ängste das gesamte Geschehen konstruiert ist, also schien es sinnvoll, auch als (angeblichen) Erzähler eine Frau einzusetzen.
Als erste Idee hatten wir „Pia Berlin“ (wir haben beide in Berlin studiert, und „Pia“ fanden wir jung und frisch), aber das stieß bei unserem Lektor auf wenig Begeisterung. Und dann haben wir noch mal ganz neu überlegt, „Schwesterlein muss sterben“ ist ein Scandi-Thriller, somit sollte der Autorenname zumindest auch in diese Richtung weisen, also „nördlich“ klingen. „Wolff“ als Nachname schien überzeugend, und Ulrikes zweiter Vorname ist Elfriede, also vielleicht „Frieda“, aber das klang schon wieder so altbacken und großmütterlich, „Freda“ dagegen hatte diesen nördlichen Touch von Annafred und auch gleich noch ein bisschen was von Fred Vargas - und sah hingeschrieben gut aus, war einfach zu sprechen und sollte auch als „internationales Pseudonym“ für Engländer oder Amerikaner kein Problem sein. Dann würde zwar wieder „Frieda“ daraus, aber wenigstens hatte Wolfram tatsächlich eine Großtante namens Frieda in Dresden, die war zwar keine Psychologin, sondern Hutmacherin, aber nach vier gescheiterten Ehen legte sie sich schließlich kurzerhand eine Freundin zu, mit der sie fortan zu Weihnachten die versammelte Verwandtschaft schockte - und das wiederum passt doch auch irgendwie zu Merette!
Und als allerletzte Frage: Warum schreibt ein deutsches Autorenpaar einen Roman, der in Norwegen spielt?
Das ist ja eben das Großartige an unserem Beruf, dass wir uns in unserer Phantasie an jeden Ort dieser Welt begeben können! Wir können sein, was wir wollen, wer wir wollen, wo wir wollen - auch eine Psychologin oder ein Ex-Polizist in Bergen!
In unserem vorangegangenem Kriminalroman „Kein Erbarmen“ lassen wir die Handlung bereits sowohl in Hannover als auch in Nord-Jütland in Dänemark spielen, aber das Problem bei egal welchem Ort oder welcher Landschaft in Deutschland ist, dass einem dann sofort der Stempel „Regional-Krimi“ aufgedrückt wird, und dazu hatten wir einfach keine Lust mehr. Natürlich schreiben auch Mankell oder Adler-Olson „Regional-Krimis“, aber bei Schweden oder Dänemark scheint das dann keinen mehr zu interessieren, da heißt die Schublade einfach nur „Scandi-Thriller“.
Und wir selbst lieben Kriminalromane aus Skandinavien, seit wir das erste Mal Sjöwahl/Wahlöö gelesen haben, ebenso wie die ganz besondere Atmosphäre der Hafenstadt Bergen und der vorgelagerten Schärenküste, seit wir das erste Mal da waren, vor inzwischen über 30 Jahren.
(Freda Wolff, 09/13)
Letzte Korrekturen am Manuskript von „Schwesterlein“;
Hossegor (F), 09/13. Fotos: Hilkje Charlotte
Hossegor (F), 09/13. Fotos: Hilkje Charlotte